Harald Dippe befasst sich bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) mit dem Thema Rettung – etwa an hochgelegenen Arbeitsplätzen, Verkehrswegen oder beim Gewerbeklettern. Er erläutert, wie das NEST-Prinzip in Notfällen helfen kann und gibt anschauliche Beispiele aus der Praxis.
Was verbirgt sich hinter der Abkürzung NEST?
Dippe: NEST steht für Notfall wahrnehmen und melden, Erste Hilfe, Rettung, Evakuierung, Sicherheit der Ersthelfenden, Retter, Unfallopfer und Transportmöglichkeit zur Übergabe an die Rettungskräfte. Es ist ein einfach anzuwendendes Schema, speziell für Notfallszenarien. Das Prinzip hilft dabei, die Rettungskette optimal zu organisieren und herauszufinden, wo Schwachstellen liegen, indem jeder Buchstabe erfüllt bzw. bearbeitet werden muss.
Nennen Sie mir bitte konkrete Anwendungsbeispiele.
Dippe: „Die Buchstaben kann jeder – bezogen auf seinen Arbeitsplatz – durchspielen. Nehmen wir das Beispiel der Kassiererin im Supermarkt. Wenn sie beispielsweise ohnmächtig wird, sind die Buchstaben N wie Notruf und E wie Erste Hilfe schnell erledigt, wenn etwa Kunden dies wahrnehmen und anderes Personal zur Hilfe rufen. Auch der Transport ist voraussichtlich leicht umzusetzen, weil die Rettungskräfte durch den Eingang des Supermarkts leicht zu der Person gelangen. Bei einer tiefen Baugrube sieht die Situation anders aus. Es lohnt sich, darüber nachzudenken und Lösungen parat zu haben.
Für wen ist es notwendig, sich auf Notfälle vorzubereiten?
Dippe: „Der Arbeitgeber hat die Pflicht, dies zu tun. Aber Arbeitnehmer tun es am besten auch, um im Fall der Fälle zu wissen, wie sie handeln müssen. Das ist vor allem wichtig, wenn der Vorfall komplex ist. Nehmen wir an, an einer Windkraftanlage auf dem Land hängt jemand, der bei Wartungsarbeiten den Halt verloren hat. Ein solcher Vorfall überfordert vielfach die freiwillige Feuerwehr. Und der Ruf nach Hilfe kann auch ganz schlicht durch fehlenden Handy-Empfang verhindert werden.
Warum widerstrebt es vielen Menschen so sehr, sich mit diesem Thema zu befassen?
Dippe: Wer etwa seit seiner Führerscheinprüfung nicht mehr mit der Notwendigkeit Erster Hilfe konfrontiert wurde, fühlt sich von Notfällen meist überrumpelt. In solchen Situationen muss man seine Komfortzone verlassen, die üblichen Routinen unterbrechen. Das fällt vielen schwer, weil es für sie unerwartet kommt.
Wie wurde die Idee zu NEST entwickelt?
Dippe: Wir haben sie gemeinsam mit vielen Betroffenen, etwa aus dem Kreis der Rettungskräfte, und Kollegen bei der BG BAU entwickelt – aus der Erfahrung heraus, dass eine Rettungskette meist erst mit dem Notruf ausgelöst wird. Das ist dann oft zu spät, vorher kann bereits viel passieren.
Schulen Sie das NEST-Prinzip auch bzw. wie vermittelt man es am besten?
Dippe: Es wird bei Vorträgen, Veröffentlichungen und durch die Aufsichtspersonen verbreitet. Dabei kommt uns die griffige Abkürzung zugute. NEST – wer das hört, hat ein positives Bild im Kopf, ein Nest, in dem er sich geschützt fühlt. Und dann muss er nur die Buchstaben einzeln abrufen bzw. danach vorgehen, um Hilfe vorzubereiten.
Gibt es Rückmeldungen von Anwendern?
Dippe: Ja, tatsächlich wurden durch Dritte bei Workshops in Unternehmen bereits die vier Buchstaben einzeln in kleinen Gruppen behandelt – bezogen auf die Situation vor Ort und die Umsetzung dort. Das ist für mich das Beste, was passieren kann: Eine Idee wird angewendet und weiterentwickelt
Weitere Informationen zum NEST-Prinzip gibt es bei BG BAU aktuell