Angemerkt… eine Glosse

Wir sehen uns?!

Sie darf das sagen. Verena Bentele ist blind und bringt die Menschen zum Staunen, wenn sie Sätze wie „Man sieht sich immer zweimal im Leben“ in den Mund nimmt. So geschehen bei ihrer Antrittsrede als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Eine Rolle, die ihr auf den Leib geschneidert erscheint, denn die hübsche blonde Leistungssportlerin, die schon zwölf Mal paralympisches Gold holte, macht deutlich: Menschen mit Behinderungen sitzen nicht unbedingt im Rollstuhl. Auch wenn viele Politikerinnen und Politiker das zu denken scheinen, weil sie sich gern mit Rollstuhlfahrern ablichten lassen. Bei manchen fällt es auf den ersten Blick gar nicht auf, dass sie ein Handicap haben – zum Beispiel bei Epileptikern oder Menschen mit Multipler Sklerose.

Chronische Krankheiten oder Unfälle können jeden von uns schneller zum Behinderten werden lassen, als wir es wahrhaben möchten. Also gilt es, sich an Nase zu fassen und zu überlegen, bevor wir beispielsweise sagen: „Er ist an den Rollstuhl gefesselt.“ Ein Projekt wie „Leidmedien“ (www.leidmedien.de) macht auf solche Nachlässigkeiten in der Sprache aufmerksam und lässt Menschen wie Michael Z. aus Berlin kommentieren: „Ein Rollstuhl ist keine Einschränkung, sondern ein Fortbewegungsmittel. Sollten Sie tatsächlich jemanden treffen, der an den Rollstuhl gefesselt ist, binden Sie ihn los!“ Aber was darf man dann sagen? Wie begegnen wir Menschen mit Behinderung am besten – woher wissen wir überhaupt, ob jemand behindert ist? Von Gesunden und Kranken zu sprechen, ist beispielsweise keine gute Idee: So kann jemand rundum gesund und trotzdem wie Verena Bentele sehbehindert sein, während ein Kranker nicht zwangsläufig eine Behinderung davonträgt.

Ein Rezept für alle Situationen im Leben hat auch das Projekt Leidmedien nicht. Nur eine Empfehlung: Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie die Person selbst, wie sie benannt werden möchte. Im Zweifelsfall geht sie so locker wie die Beauftragte Bentele mit ihrer Behinderung um und hat dazu einen flotten Spruch auf den Lippen. Oft genug behindert die Umwelt den Menschen auch mehr als seine Beeinträchtigung selbst. So geschieht es beispielsweise an Schulen, die sich dem inklusiven Unterricht entgegenstemmen – mit der Begründung, dass kein Aufzug vorhanden sei. Dabei hat ein sehbehindertes Kind ganz andere Bedürfnisse… In diesem Sinne: Wir sehen uns!